Overblog
Edit post Folge diesem Blog Administration + Create my blog

Dorfmark: Gedenkstein für 33 tote Kinder

28. November 2008 , Geschrieben von Parents Veröffentlicht in #Kampf gegen Nazis - lokal

Heimatverein Kirchspiel Dorfmark will Erinnerung an junge NS-Opfer wachhalten

 

DORFMARK (ari). Das jüngste Kind ist gerade sieben Tage alt ge-
worden, viele lebten nur einige Wochen, die meisten wenige Monate,
nur eines wurde überhaupt älter als ein Jahr: 33 kleine Mädchen und
Jungen sind zwischen August 1944 und April 1945 in Dorfmark in einem
NS-Kinderheim umgekommen, allesamt Kinder von jungen Frauen aus
Polen und anderen osteuropäischen Ländern, die im Raum Celle und
Walsrode Zwangsarbeit verrichteten. Der Heimatverein Kirchspiel Dorf-
mark, der bei seinen Nachforschungen zur Heimatgeschichte mehr zu-
fällig auf das schreckliche Schicksal der 33 Kinder stieß, weiht am kom-
menden Sonntag, den 23. November, einen Gedenkstein auf dem Dorf-
marker Friedhof ein, mit Blick auf die Stelle, wo die kleinen Leichname
vor mehr als 60 Jahren beerdigt worden waren. 

 

Bis heute erinnert nichts an die 33  Kindergräber, die schon bald nach Kriegsende mit Gras überwuchsen und längst eingeebnet sind. Die Mütter der Kinder kamen nicht aus Dorfmark, sondern aus Polen und anderen osteuropäischen Ländern und waren als Zwangsarbeiterinnen in die Kreise Celle und Fallingbostel gebracht worden. Sie hatten ihre
Kinder kurz nach der Geburt ins Dorfmarker Heim geben müssen, um weiter arbeiten zu können.
Ihre Säuglinge sind nach Meinung von Alfred Michaelis, auf dessen Betreiben der Gedenkstein gesetzt wird, schlichtweg verhungert: "Ich denke, ihr Tod wurde billigend in
Kauf genommen. Es gab zwar von oben angeordnete Mindestrationen für die Kinder. Die Lebensmittel mögen vielleicht im Heim angekommen sein, nicht aber bei den Kindern", so
der 67jährige, der die Vergangenheit für den Heimatverein durchleuchtet und dabei sein Augenmerk vor alem auf die Kriegsjahre richtet.


Seine Annahme stützt Michaelis auch auf ein Nachkriegsprotokoll, in dem ein Helfer, der sich im Heim um technische Angelegenheiten kümmerte, Auskunft gab. Der Mann  hat
die verstorbenen Babys im Handkarren zum Friedhof gebracht und beerdigt.. Er gab an, die Kinder seien verhungert. "Die in den Sterbeurkunden angegebenen Todesursachen wie Herzschwäche oder Darmkatarrh sind meiner Meinung nach an den Haaren herbeigezo- gen", so Michaelis.


Bestürzt und entsetzt hatten die Dorfmarker reagiert, als der Heimatverein vor drei Jahren die Gräberliste, die der Vorsitzende Adolf Domeier durch Zufall im Archiv des Landkreises entdeckt hatte, bei einer Ausstellung zum Thema "60 Jahre Kriegsende - Flucht und Vertreibung" im Gemeindehaus präsentierte. Davon, was sich im "Ostarbeiter- und Polenkinderheim" in einem Teil des ehemaligen Schweinemastbetriebs Kruse an der Auto-
bahn abspielte, scheint kaum jemand gewußt zu haben, vermutet Michaelis. Das Heim für bis zu 100  Kinder wurde erst im Sommer 1944 eröffnet, das Gelände wurde polizeilich bewacht, als Leiterin fungierte die Kreisabteilungsleiterin der NS-Frauenschaft. Ihr gingen lediglich zwei Helferinnen zur Hand.


Zeitzeugen hat der Dorfmarker bei seinen Nachforschungen dennoch gefunden: Eine Frau, die in Düshorn lebte, erinnert sich, dass eine Zwangsarbeiterin mit ihrem Neugeborenen nach Dorfmark gebracht wurde und das Kind kurz danach im Heim verstarb. Eine andere Frau, die damals im Dorfmarker Küsterhaus wohnte, weiß noch, dass sie als Kind

- versteckt hinter anderen Gräbern - manchmal zugeschaut hat, wie kleine Kisten oder Kartons auf dem Friedhof vergraben wurden: Meist seien nur ein oder zwei Menschen
zur Bestattung gekommen, bei der es weder Pastor noch Glockengeläut gegeben habe. Das Weinen der Frauen ging dem Mädchen ans Herz. Manchmal schmückte es aus
Mitleid die kleinen Grabhügel, die keinen Grabstein und kein Kreuz bekamen und auch nicht gepflegt wurden, mit ein paar selbstgepflückten Blumen, mehr ahnend als wissend,
dass es sich um Kindergräber handelte ...


Aussagen, die sich decken mit den Anweisungen aus der Hausordnung des Heims, die Michaelis ebenfalls aufgespürt hat und die offenbart, wie grausam das NS-Regime gegen die jungen Mütter und ihre Kinder vorgegangen ist: "Beim Todesfall eines Kindes (...) ist die Leiche unauffällig und ohne Begleitung von Angehörigen zum Friedhof zu schaffen. Feiern irgendwelcher Art sind verboten (...) Bei der Beerdigung auf dem Friedhof dürfen zwei Angehörige des Kindes anwesend sein. Die Kosten sind von den Angehörigen zu tragen", heißt es da.  Doch auch zu Lebzeiten ihrer Töchter und Söhne muß den Müttern und Kindern das Herz schon vielfach gebrochen sein: Besuche waren nur einmal im Monat für maximal eine halbe Stunde möglich, unter Aufsicht eines uniformierten SA-Mannes. "Das Mitbringen von Lebensmitteln und Füttern der Kinder durch die Angehörigen ist verboten", so die Hausordnung.


Alfred Michaelis wollte nach dem erschreckenden Fund der Gräberliste nicht einfach zur Tagesordnung übergehen. Also begab er sich auf die Suche, um etwas Licht in das
dunkle Kapitel Dorfmarker Geschichte zu bringen. Er forschte in Archiven und startete Aufrufe, unter anderem in Polen, um vielleicht noch lebende ehemalige Zwangsarbeite-
rinnen zu finden - vergeblich. Da die Gräber selbst nicht mehr vorhanden sind, wollte er zumindest einen  kleinen Gedenkstein, um an das Schicksal der Kinder zu erinnern. Landrat Manfred Ostermann unterstützte die Idee und warb Sponsoren (neben dem Heimatverein gaben die Stadt Fallingbostel und die Sparkassenstiftung der Kreissparkasse
Walsrode Geld), um das Vorhaben in angemessener Form verwirklichen zu können.


Am kommenden Sonntag, dem Ewigkeitssonntag, um 15.30 Uhr wird ein grofler Findling mit einer Granittafel neben der Kapelle auf dem Dorfmarker Friedhof enthüllt. Darauf  stehen die Namen, Geburts- und Sterbedaten der 33 Kinder, die in der Zeit von August 1944 bis April 1945 im Kinderheim in Dorfmark gestorben sind.

 

 

 

Quelle: Heidekurier 19.11.2008

Diesen Post teilen
Repost0
Um über die neuesten Artikel informiert zu werden, abonnieren:
Kommentiere diesen Post