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«Es ist richtig cool geworden, ein Neonazi zu sein»

17. März 2009 , Geschrieben von Parents Veröffentlicht in #Jugendarbeit-Prävention-Integration

Rechtsextremismus bei Jugendlichen

«Es ist richtig cool geworden, ein Neonazi zu sein»

Von den news.de-Redakteuren J. Berger, M. Kraft und T. Nowack

Ausländerfeindlichkeit, Antisemitismus und Rechtsextremismus - laut einer Studie ist unsere Jugend rechtsextremer als weithin angenommen. Innenminister Schäuble sprach von erschreckenden Zahlen. News.de befragte Experten, die keineswegs überrascht sind.

Die Studie zur Gewalt unter Jugendlichen ist 132 Seiten lang - und bis Seite 112 ist eigentlich alles in Ordnung: Die Gewalt unter Schülern steigt nicht, sondern sinkt sogar leicht. Doch dann kommt das letzte Kapitel - «Ausländerfeindlichkeit, Antisemitismus und Rechtsextremismus» - mit einem erschreckenden Ergebnis: Etwa jeder siebte Jugendliche in Deutschland ist der Studie zufolge «sehr ausländerfeindlich». 4,9 Prozent der Jungen und 2,6 Prozent der Mädchen gaben sogar an, Mitglied einer rechtsextremen Gruppe oder Kameradschaft zu sein.

Etwa zwei Drittel der Befragten zeigten sich skeptisch gegenüber der Zahl der in Deutschland lebenden Ausländer. 29,7 Prozent stimmten der Aussage «In Deutschland gibt es zu viele Ausländer» zu. Dabei lag das Ausmaß der Ausländerfeindlichkeit im Osten Deutschlands nur geringfügig über dem im Westen. Auf antisemitische Einstellungen ließen die Antworten von 6,4 Prozent der Jungen und 2,1 Prozent der Mädchen schließen. Zur rechtsextremen Einstellung hatte das Kriminologische Forschungsinstituts Niedersachsen in den Jahren 2007 und2008 in 61 Landkreisen und kreisfreien Städten knapp 20.000 durchschnittlich 15 Jahre alte Schüler befragt.

Bei der Vorstellung der Studie in Berlin zeigte sich Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) «erschocken» über die neuen Befunde. Doch Experten sind wenig verwundert: «Wer mit dem Thema zu tun hat, den überrascht das Ergebnis der Studie nicht», sagte Holger Kulick, der die Website mut-gegen-rechte-gewalt.de der Amadeu Antonio Stiftung betreut, zu news.de. «Schon seit längerer Zeit ist zu beobachten, dass es richtig cool geworden ist, Neonazi zu sein». So sei zum Beispiel auf rechtsextremen Demonstrationen der Altersschnitt sichtbar gesunken. «Da sind viele Jugendliche dabei, denen man geradezu die Abenteuerlust ansieht, die sich nach Action sehnen.» Es sei durchaus schick, dort mitzulaufen. «Man ist da heute nicht mehr hässlich mit Glatze, sondern trägt Szeneklamotten.»

Kulick stellt eine zunehmende Hilflosigkeit bei Sozialpädagogen, Lehrern und Sporttrainern fest. Die Rechten vermittelten den Jugendlichen das Gefühl, dass da jemand ist, der sich um sie kümmere. Die Ideologie komme erst danach. In der Jugendarbeit demokratischer Parteien fehle es dagegen oft an finanziellen und personellen Mitteln. «Das sind Lücken, die die Parteien oft nicht ernst genommen haben, und das rächt sich jetzt bitterlich», sagte Kulick. An vielen Stellen springe dafür heute die NPD ein. «Die Jugendlichen sehen die NPD als coole Opposition.»

Dietmar Sturzbecher, Direktor des Instituts für angewandte Familien-, Kindheits- und Jugendforschung an der Universität Potsdam, hat zur politischen Einstellung von Jugendlichen geforscht. Er möchte nicht ausschließen, dass auch die Wirtschaftskrise den Boden für rechtsextreme Gedanken nährt: «Wer etwas gegen Ausländer hat, fühlt sich immer bedroht und sucht Sündenböcke. Diese Tendenz wird durch eine unsichere wirtschaftliche Lage sicher verstärkt», sagte Sturzbecher.

Besonders während der Pubertät seien Jugendliche anfällig für rechtsextremes Gedankengut, erklärte der Psychologe auf Anfrage von news.de. Dabei spielten der Freundeskreis und das politische Klima in der Schule eine große Rolle. Je älter die Jugendlichen würden, desto weniger ließen sie sich von rechten Parolen beeindrucken. «Aber man darf nicht denken, dass sich das Problem von alleine auswächst», sagte Sturzbecher.

Und welche Maßnahmen sollten gegen den Rechtsruck der Jugendlichen ergriffen werden? «Den Jugendlichen muss klar werden, dass sie auch auf andere Dinge stolz sein können als auf ein völkisch-rassistisches Leitbild», sagte Kulick. Aber dazu müsse man sie ernst nehmen und sich um sie kümmern. «Wir brauchen mehr Leute im Streetwork-Bereich, und auch Jugendclubleiter benötigen Zeit und Raum, um sich um die Leute zu kümmern.»

Bei den Projekten, die sich direkt gegen Rechtsextremismus engagierten, fehle es ebenfalls an Mitteln. Das merkt Kulick auch bei der Initiative mut-gegen-rechte-gewalt.de. «Mangels Sponsoren und Financiers weiß ich nicht, ob die Seite noch lange bestehen kann», sagt Kulick. «Wir stehen kurz vor dem Scheitern.»

 

Quelle: news.de

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