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Demonstrationen gegen das "Turbo-Abi"

27. März 2009 , Geschrieben von Parents Veröffentlicht in #Bildung


Bildungspolitik

Demonstrationen gegen das "Turbo-Abi"
Briefe, Trommeln und Trillerpfeifen: Die IGSen aus der Region Hannover kritisierten am landesweiten Aktionstag die geplante Einführung des Turbo-Abiturs.
 
Es ist laut auf dem Thie am Kronsberg – und eng: Etwa 850 Schüler, Lehrer und Eltern schwenken Transparente, blasen in ihre Trillerpfeifen und schlagen auf Trommeln. „Wir wollen keinen Stress, 13 Jahre IGS“, rufen die IGS-Kronsberg-Schüler über den Platz. Vor dem Stadtteilzentrum Krokus bildet sich eine Menschentraube, etwa 30 Jugendliche mit weißen Mullbinden vor den Mündern erregen Aufsehen. „Auf unsere Meinung nimmt die Landesregierung keine Rücksicht“, ruft Schulsprecherin Serpel Matyar.

Am Donnerstag hatten die Schüler der Integrierten Gesamtschulen in der Region Hannover eine klare Botschaft: Die Pläne der Landesregierung zur Einführung des Abiturs in zwölf Jahren auch an den Gesamtschulen zerstören ihrer Ansicht nach das Konzept des gemeinsamen Lernens. Sechs integrierte Gesamtschulen aus dem Stadtgebiet und zwei aus dem Umland machten ihrem Unmut über die Veränderungen des Schulsystems mit einem Aktionstag einen Tag vor Beginn der Osterferien Luft. Auch IGSen in weiteren Städten Niedersachsens schlossen sich dem Protest an.

Der Ideenreichtum der Schüler war groß: Menschenketten in Linden und in der List, Schulstreik in Langenhagen, Theater im Roderbruch, Protestbriefe in Mühlenberg, Demonstrationen in Garbsen, Vahrenheide und am Kronsberg. Vor allem Niedersachsens Kultusministerin Elisabeth Heister-Neumann (CDU) war Adressatin der Kritik.


 

Als Amina Yousaf, Schülersprecherin der IGS Mühlenberg, am Nachmittag vor dem Kultusministerium stand, saß die Ministerin gerade in einer Sitzung im Landtag. „Jeder hat freiwillig einen Brief verfasst und erklärt, warum die IGS so bleiben muss, wie sie ist“, sagte die 19-Jährige. Ein Mitarbeiter der Behörde nahm die drei Kartons mit 1500 Briefen für die Ministerin entgegen. Auch Schüler der Waldorfschule Bothfeld waren zum Ministerium gekommen, um ihre Solidarität zu zeigen – auch wenn das „Turbo-Abi“ die Privatschule nicht betrifft. Den ganzen Vormittag hatten die Schüler der IGS Mühlenberg im Unterricht gebastelt und geschrieben. Der 15-jährige Jonas Pietsch aus dem 9. Jahrgang schrieb der Politikerin: „Die IGS ist für Kinder gut, die das Tempo auf dem Gymnasium nicht schaffen.“ So wie Jonas haben viele Schüler, Eltern und Lehrer Angst, dass das verkürzte Abitur das Konzept der Integrierten Gesamtschulen zerstöre.

„Die Kinder sollen die Möglichkeit haben, sich nach ihren Fähigkeiten zu entfalten – und das braucht Zeit“, sagt Sabine Mech, die ihren Sohn bewusst auf die IGS Linden geschickt hat. So wie Sabine Mech, denken nach einer Umfrage der Stadt Hannover 40 Prozent aller Eltern: Sie würden ihr Kind auf einer Gesamtschule anmelden, um ihnen mehr Zeit zum Lernen zu geben.
Um gegen die geplante Kürzung der Schulzeit zu protestieren, hatten sich gestern einige Eltern zusammen mit den 1300 Schülern der IGS Linden in eine 500 Meter lange Menschenkette um das Schulgebäude eingereiht. Der Protest dauerte nur eine gute Stunde, in Langenhagen hingegen bestreikten die rund 1300 Schüler und Elternvertreter den Unterricht den ganzen Schultag lang. „Ich war erst auf dem Gymnasium, aber der Stundenplan war durch das Turbo-Abi so voll gepackt, dass ich kaum Freizeit hatte“, erzählte die Schülerin Panthea Mehdizadeh dort. Heister-Neumann müsse sich einmal den Unterricht an der Integrierten Gesamtschule anschauen, um sich ein Bild vom guten Klima zu machen, waren sich Schüler- und Elternvertreter in Langenhagen einig.

Dass die Aktionen die Pläne wirklich ändern können, glaubten jedoch die Wenigsten. „Aber ganz ignorieren kann man so viel Protest ja nicht“, sagte Carolin Oltersdorf, Schülersprecherin der IGS Linden. Das Kultusministerium äußerte sich gestern nicht zum Aktionstag und verwies auf die Beschlüsse der Kabinettsklausur. SPD- und Grünen-Politiker aus Stadt und Land zeigten sich jedoch solidarisch – und sprachen sich vor den Schülern der IGS Kronsberg deutlich gegen die Einführung des „Turbo-Abiturs“ aus. „Der Grundgedanke der IGS wird ausgehöhlt“, sagte Frauke Heiligenstadt von der SPD-Landtagsfraktion und bekam nicht nur von den Parteikollegen Stefan Politze und Michael Klie, Ratsmitglied, Zustimmung, sondern auch von der schulpolitischen Sprecherin der Grünen im Rat, Regine Kramarek. Unterstützung gab es auch vom Landesvorsitzenden des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Hartmut Tölle: „Der Protest zeigt, dass die Pläne der Landesregierung am Willen der Eltern und Schüler vorbeigehen.“

Die IGSen kündigten an, die Aktionen auszuweiten. Am 9. Mai wollen in Hannover Schüler, Eltern und Lehrer aus ganz Niedersachsen demonstrieren. Doch mit ihren Forderungen muss die Kultusministerin schon vorher auseinandersetzen: Die 1500 Briefe aus Mühlenberg werden ihr vorgelegt, versprach ein Mitarbeiter. Und auch aus Langenhagen soll sie demnächst Post mit 1500 Unterschriften bekommen.

von Hannah Suppa, Julia Sellner und Charlotte Klein


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