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Celler Seilschaften deckten Jahrzehnte einen Nazi

27. Dezember 2009 , Geschrieben von Parents Veröffentlicht in #Kampf gegen Nazis - Norddeutschland

CellerSeilschaften.JPG



Mediziner würden vermutlich

einen schweren Rückschlag

feststellen: Seit Jahren bemüht

sich die Stadt Celle,

ihre Nazivergangenheit aufzuarbeiten

und das Image „Braunes Nest in der Heide“

abzustreifen. Doch die dabei

schmerzhaft erzielten Erfolge sind in

diesen Tagen nahezu bedeutungslos geworden,

denn Zeitzeugen haben nachgewiesen,

dass in Celle die NS-Zeit mit

dem Zusammenbruch von Hitler-

Deutschland im Mai 1945 noch lange

nicht zu Ende war. Naziseilschaften

existierten bis weit in die siebziger Jahre

hinein. Unbehelligt nahmen sie Einfl uss

auf die Kommunalpolitik, schützend

stellten sie sich vor Männer und Frauen,

die während des Zweiten Weltkrieges

schwere Verbrechen begangen hatten.

Auslöser der aktuellen Schockstarre in Celle ist das Ehepaar Fritz und Helene

Darges. Es lebte jahrzehntelang in der

Juristenstadt und

zählte bis vor wenigen

Tagen zu

den angesehenen

Persönlichkeiten

in der Oberschicht

der Stadt. Erst

nach der Beerdigung

von Fritz

Darges am 18. November

dieses

Jahres wurde seine

Vergangenheit

bekannt. Darges

war bis zum 18.

Juli 1944 einer von

Hitlers Adjutanten

und stand anschließend

als

Obersturmbannführer

an der Spitze

der SS-Division

„Wiking“. Nach

dem Krieg engagierte

er sich mehr als 40 Jahre lang als

Schatzmeister in der „Ordensgemeinschaft

der Ritterkreuzträger“, der Interessenvertretung

von Soldaten und SSLeuten,

die vor 1945 mit höchsten Tapferkeitsmedaillen

ausgezeichnet worden

waren. Darges starb in diesem Herbst im

Alter von 96 Jahren.

Seine Ehefrau Helene lernte der in der

Altmark geborene Darges Anfang der

fünfziger Jahre in Celle kennen. Er arbeitete

in jenen Tagen in der Reparaturannahme

eines Autohauses, sie war seit

dem 1. Oktober 1943 Oberärztin in einem

Celler Krankenhaus und war bis

zu ihrer Pensionierung im Jahre 1976

Chefärztin der Kinderabteilung in dieser

kommunalen Klinik – obwohl sie

1942 und 1943 in Hamburg unter ihrem

Mädchennamen Helene Sonnemann an

der Ermordung von mindestens 56 behinderten

Kindern in der Kinderklinik

Rothenburgsort beteiligt war. Verurteilt

wurde sie genauso wenig wie ihre

Mittäter, es wurde schlicht keine Anklage

erhoben. Erst jetzt wird das Euthanasie-

Verbrechen in Hamburg von

einer Religionslehrerin und einer Kinderärztin

aufgearbeitet.

In Celle ist das dunkle Kapitel im Lebenslauf

der vor elf Jahren gestorbenen

Frau nie diskutiert worden, wohl aber

ihre „Heldentat“ während des Krieges.

Gemeinsam mit anderen Ärzten und

Krankenschwestern führte sie im Juli

1943 rund 300 Kinder aus dem zerstörten

Hamburg in die bis dahin vom Bombenangriffen

verschonte Kreisstadt in

der Heide. Als Lohn für diese Rettungstat

gab’s den Kriegsverdienstorden. Bis

Ende vergangener Woche war er im Celler

Garnisonmuseum ausgestellt. Jetzt

wurde er gemeinsam mit anderen Erinnerungsstücken

aus dem Leben der Kinderärztin

in eine verschlossene Schublade

verbannt.

Ob Helene Darges-Sonnemann bei ihrem

berufl ichen Aufstieg Unterstützung

vom damaligen Oberkreisdirektor Axel

Bruns erhielt, ist bisher nicht geklärt. Sicher

ist jedoch, dass der Hauptmann a. D.

und Ritterkreuzträger Bruns Einfl uss

auf die Karriere ihres Mannes nahm.

Fritz Darges, im Autohaus zwar angesehen,

aber unterfordert, wurde 1966 zum

DRK-Kreisgeschäftsführer berufen.

Zehn Jahre lang übte er dieses Amt aus – zur vollsten Zufriedenheit von Bruns.

1976 trat er in den Ruhestand, hochgelobt

für seinen Einsatz während der

Brandkatastrophe in der Heide 1975 und

für seine Erfolge bei der Ausbildung von

Rettungssanitätern.

Erst heute wurde durch Recherchen

der „Celleschen Zeitung“

bekannt, dass Darges nicht

nur von Bruns geschützt

und gefördert wurde. Schon

bei der sogenannten Entnazifi

zierung halfen ihm „gute

Bekannte“. Obwohl Darges

schon 1934 in Bad Tölz als einer der Ersten

an der SS-Junkerschule ausgebildet

und rasch ein enger Mitarbeiter von

Martin Bormann wurde, stufte man ihn

nicht als Hauptschuldigen ein. Ein Mitarbeiter

aus seinem Divisionsstab trug

dazu bei, dass er als „minderbelastet“

davonkam. 500 Mark Strafe hatte er zu

zahlen, nach drei Jahren Gefangenschaft

bei der US-Armee und kurzer Internierung

konnte er bald seine Nachkriegslaufbahn

starten.

Darges musste sich in Celle nie verstestecken.

Er wusste immer gute Freunde in

seiner Nähe. Ob sie allerdings alle von

ihm erfuhren, wie eng er tatsächlich mit

Hitler und dessen Freundin Eva Braun

zusammengearbeitet hatte, lässt sich

nicht mehr feststellen. Immerhin, er ließ

sich gelegentlich von Historikern interviewen.

Dabei gab er klar

zu erkennen, dass er zeit

seines Lebens ein Verehrer

Adolf Hitlers war. Der

überzeugte Nazi machte

auch nie einen Hehl aus seinem

Stolz, der Waffen-SS

angehört zu haben.

Während im Internet braune Gesinnungsgenossen

dem Obersturmbannführer

Darges nachtrauern, macht sich

die Stadt Celle daran, ihre Vergangenheit

weiter aufzuarbeiten. Oberbürgermeister

Dirk-Ulrich Mende (SPD) treibt

die Einrichtung eines NS-Dokumentationszentrums

voran. Das Stadtparlament

hat bereits vor Bekanntwerden der Darges-

Verstrickungen beschlossen, von einer

hochkarätig besetzten Expertenkommission

sämtliche Straßen, Plätze und Sportstätten darauf überprüfen zu lassen, „ob ihre Namensgeber sich im

Dritten Reich ins Unrecht gesetzt haben“.

„Das ist vorbildlich und sucht seinesgleichen

im Bundesgebiet“, merkt die

städtische Pressestelle dazu an.

Zwei Straßennamen sind in den vergangenen

Jahren bereits geändert worden.

Eine war dem früheren Oberbürgermeister

Kurt Blanke gewidmet, die

andere dessen Vorgänger Ernst Meyer.

Blanke, Oberbürgermeister von 1964 bis

1973, fiel als Namensgeber in Ungnade,

nachdem im April 2008 zweifelsfrei

nachgewiesen worden war, dass er während

des Zweiten Weltkrieges entscheidend

zur Judenverfolgung in Frankreich

beigetragen hatte.

Meyer, Oberbürgermeister von 1924

bis 1945, geriet 2007 als Ehrenbürger in

Verruf, weil Historiker herausfanden,

dass er nicht nur ein aktiver Nazi war,

sondern auch an der Judenverfolgung in

Celle mitgewirkt hat. Überdies hat er im

April 1945 veranlasst, dass Celler Bürger

auf flüchtende KZ-Häftlinge schossen.

 

Quelle: Hannoversche Allgemeine Zeitung 18.12.2009

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