Offener Brief an die Ministerin Schröder -
"Erklärung für Demokratie" in den Programmen "Toleranz fördern -
Kompetenz stärken" und "Initiative Demokratie stärken"
Sehr geehrte Frau Ministerin Schröder,
der Deutsche Gewerkschaftsbund in der Region Niedersachsen-Mitte (das sind neben
Stadt und Region Hannover sechs weitere Landkreise) leistet seit Jahren einen
bedeutenden Teil der Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus, Rassismus,
Antisemitismus und Neonazismus in seinem Zuständigkeitsbereich. Dabei sind vor
allem folgende Bereiche betroffen:
- Weserbergland (Landkreise Hameln-Pyrmont und Schaumburg) mit einer
militanten Naziszene, der bundesweit berüchtigte "Trauermarsch Bad
Nenndorf" zum sogenannten Wincklerbad in Bad Nenndorf ist der organisierte
Ausdruck davon
- eine regional verwurzelte Naziszene im Landkreis Hildesheim
- Aktivitäten in Stadt und Region Hannover (u. a. der Versuch im Jahr 2009 eine
Nationalsozialistische 1. Mai-Demonstration in Hannover durchzuführen)
- Aktivitäten im ländlichen Raum im Bereich Nienburg
Überall an diesen Schnittstellen organisiert und koordiniert der DGB Gegenaktivitäten
in Form von Veranstaltungen, Seminaren, lokalen Bündnissen und Protestaktionen.
Dabei ist das Herstellen breiter sozialer und gesellschaftlicher Bündnisse für uns ein
Herzensanliegen.
Wir kooperieren dazu u. a. mit diversen Bildungseinrichtungen,
Beratungseinrichtungen und Demokratienetzwerken sowohl in Niedersachsen wie
auch im gesamten Bundesgebiet.
In diesem Kontext ist an uns mehrfach das Thema "Erklärung für Demokratie"
herangetragen worden, eine Erklärung, die bei den betroffenen Einrichtungen aber
auch bei uns in den Gewerkschaften für Unruhe und Unverständnis sorgt.
Neben einigen eher formalen und juristischen Fragestellungen (wer prüft eigentlich
wessen Verfassungsmäßigkeit?) treiben uns in diesem Zusammenhang auch einige
grundsätzliche Sorgen um:
Es erscheit uns wenig angemessen, seinen Partnern in der Auseinandersetzung mit
Rechtsextremisten und Neonazis mit einem Grundmisstrauen zu begegnen und dieses
durch Zwangserklärungen auch noch zu dokumentieren. Wir gehen im Gegenteil
davon aus, dass die Antwort auf autoritäres und menschenfeindliches Gedankengut
eher offen freiheitlich und liberal angelegt sein muss.
Hochproblematisch erscheint es uns dabei, dieses der Erklärung anhaftende
Misstrauen auch noch auf Partnerorganisationen und Referenten auszudehnen. Dass
die Antragsteller dabei Verantwortung für Dritte übernehmen sollen bzw. müssen, ist
unseres Erachtens nicht nur nicht demokratiefördernd, im Gegenteil befördert es
Misstrauen und Überwachung.
Wenig Freude können empfinden wir mit Blick auf den sehr nebulösen
Extremismusbegriff. Abgesehen davon, dass dieser in seinem inhaltlichen Gehalt eher
einer Nebelkerze denn einer klaren Begrifflichkeit entspricht, befürchten wir dahinter
eine völlig unangemessene Gleichsetzung von "Rechts gleich Links". Dass dies den
Realitäten in unserem Lande nicht gerecht wird, lässt sich sowohl statistisch wie auch
empirisch schnell belegen. Gerade in der Auseinandersetzung mit Neonazis und mit
Rechtsextremismus und Rassismus in den Köpfen sind Klarheit und Deutlichkeit
notwendig, der Extremismusbegriff trägt dazu leider nicht bei.
Prinzipiell erscheint es uns notwendig, Programme für Demokratie und gegen
Rechtsextremismus und Ausländerfeindlichkeit in unserem Lande weiter zu befördern
und auszubauen. Dies erfordert einen entsprechend offenen und freiheitlich
orientierten Kurs und ein gewisses Maß an Vertrauen gegenüber seinen Partnerinnen
und Partnern. Durch die aktuellen Diskussionen im Zusammenhang mit der
sogenannten Demokratieerklärung wird aus unserer Sicht dieses Vertrauen eher
untergraben.
Ich würde mich sehr freuen, wenn Sie Ihre bisherigen Entscheidungen zu diesem
Thema noch einmal bedenken würden. Ergänzend würde ich Ihnen gerne
vorschlagen, zu diesem Fragenkomplex eine ausführliches öffentliches Forum zu
initiieren. Ich bin mir sicher, dass sich daran auch die Gewerkschaften gerne mit ihren
Informationen und Erfahrungen beteiligen würden.
Über eine Antwort Ihrerseits würde ich mich sehr freuen.
Freundliche Grüße
Sebastian Wertmüller
DGB-Regionsvorsitzender