Aus der Geschichte lernen …
Wie es den Nationalsozialisten in der Vergangenheit in Hannover-Linden
erging – historische Zeugnisse
Nazis im Dunkeln…
„Immer wieder versuchten die Nazis in kleineren, später auch in größeren Trupps durch die
Straßen Lindens zu marschieren. Sie kamen nicht durch. Die Antifaschisten standen wie eine
Mauer, obwohl die Nazi-Trupps mit Stahlruten und Gummiknüppeln ausgerüstet gegen sie
vorgingen. Erst am 19. Februar 1933 gelang es ihnen, durch Linden zu marschieren, und das
auch nur, weil sie die Unterstützung eines großen Polizeiaufgebotes hatten.
Die Nazis versuchten systematisch die Arbeiterlokale zu erobern. Ein Lokal erschien ihnen
besonders wichtig, weil hier Antifaschisten verkehrten und ihre Versammlungen abhielten. Es
war das „Posthorn“ in der Deisterstraße. Sie hatten schon einige Male versucht, den Wirt
unter Druck zu setzen und im Lokal eine Naziveranstaltung abzuhalten. Aber es war ihnen nie
gelungen, das Lokal in brauner Uniform zu betreten.
Eines Tages ging der Alarmruf durch Hannover und Linden, die Nazis wollen mit einem
Großaufgebot der SA das ‚Posthorn’ stürmen. Die antifaschistischen Arbeiter warteten vor
dem Lokal und in den Seitenstraßen. Dann kamen die Nazis! 500 – 600 Mann zogen
geschlossen über die Ihmebrücke und marschierten in die Deisterstraße hinein. Als sie die
wartenden Arbeiter sahen, schnallten sie ihre Koppel ab und gingen zum Angriff über. Aber
die Arbeiterfäuste waren stärker. Schneller als die Nazis in die Deisterstraße hinein
gekommen waren, flohen sie wieder hinaus und wurden über die Ihmebrücke zurück
gedrängt. Dann trat die Polizei in Aktion und half den Nazis. Ein großes Aufgebot berittener
und motorisierter Polizei ermöglichte es, den braunen Kolonnen, die ‚Eroberung’ des
Arbeiterlokal durchzusetzen. Doch als sie in das Lokal einzogen, war es dort stockdunkel! Die
Lindener Antifaschisten hatten die Sicherungen heraus gedreht und das Hauptkabel zerstört!“
(Bericht des Bürgers Fritz Grahn in Gerda Zorn – Stadt im Widerstand, Frankfurt 1965)
Kampfbund gegen den Faschismus
„Mitte Januar wurde im Arbeiterviertel Linden ein Flugblatt des Kampfbundes gegen den
Faschismus verteilt, das aufforderte, „die Faschisten aus den Wohnvierteln“ zu vertreiben.
Zitat: Macht Schluss mit diesen provokatorischen Auftritten in Arbeitervierteln! Bildet
Häuser- und Straßenschutzstaffeln! Jeder Arbeiter trete dem Massenselbstschutz ohne
Unterschied der Parteizugehörigkeit bei! Im Februar forderte die KPD mit illegalen
Flugblättern zum Selbstschutz auf, als die Nazis ankündigten, in den Arbeitervierteln Linden
und der Charlottenstraße und Ricklinger Viertel Provokationen durchführen zu wollen. Der
Text lautete:
„Arbeiter! Der Mordstahl der SA-Banden wütete in Linden! Einzeln werden die Arbeiter von
den braunen Mordbanden des Finanzkapitals niedergeschlagen! Heute Abend wollen die
braunen Terrorbanden Lindens Arbeiterviertel, besonders die Charlottenstraße – und
Ricklinger Viertel überfallen! Arbeiter! Heraus auf die Straße – wehrt Euch! Verjagt die
Faschisten von den Straßen! Bereitet den braunen Mördern einen solchen Empfang, dass sie
das Wiederkommen vergessen! Schützt Euer Leben und Eigentum! Steht Schulter an Schulter
zusammen in der Abwehr des braunen Terrors. Schmiedet die kämpfende Einheitsfront der
Tat! Heraus zum roten Massenselbstschutz!“
(Aus Gerda Zorn: Widerstand in Hannover, Frankfurt 1977)
Umbenennungen am 1.Mai 1934
„Auch am 1. Mai 1934 wurden wieder sichtbare Zeiten gegeben. Die gleiche Gruppe, die
1933 auf Schornstein die rote Fahne hisste, hatte am Vorabend des 1. Mai 1934 in
Limmerstraße und sämtlichen Nebenstraßen die Straßennamen geändert. Die Limmerstraße
war zuerst ‚Ernst-Thälmann-Straße’ geworden, die Fannystraße zur Rosa-Luxemburg-Straße,
die Stärkestraße zur Karl-Liebknecht-Straße. Die Vorbereitungen zum 1. Mai 1934 wurden
auf einer illegalen Beratung am 1. Mai 1934 im Gailhof, ca. 30 km von Hannover entfernt,
ausgewertet.
(Aus Gerda Zorn: Widerstand in Hannover, Frankfurt 1977)
„…und die Nazis haben von uns eine Wucht gekriegt“
„Die Nationalsozialisten wollten immer Linden-Nord erobern, aber vor 1933 kamen sie nicht
herein. Wenn sie mal kamen, waren sofort alle am Küchengarten, denn sie mussten ja über die
Ihmebrücke oder sie versuchten es über den Kötnerholzweg. An der Fössestraße mussten sie
über die Brücke in die Nieschlagstraße und dann standen sie da meisten und trauten sich nicht
weiter. Wir standen immer an der Ecke Kötnerholzweg/Victoriastraße. Die Nazis warteten
dann immer, bis die Polizei mit ihren „Flitzern“ (8-sitzige Polizeiwagen) kamen. Die
Polizisten waren natürlicher verärgert, dass sie wegen so einem Kram kommen mussten.
Einmal hatten wir einen Plan ausgeheckt, eigentlich war es gar kein Plan, denn es ging so
schnell.
Der Polizeiwagen kam an, fuhr vorweg als Schutz für die Nazis. Nun ist der „Flitzer“ nicht in
den Kötnerholzweg, sondern in die Victoriastraße eingebogen. Wir vorne weg. Einige liefen
vor und ruck zuck die Laternen - es war ja Gaslicht – ausgezogen und die Victoriastraße war
dunkel und die Nazis haben von uns eine Wucht gekriegt. Der Polizeiwagen fuhr schnell zur
Limmerstraße und war weg. Dies war eine Gelegenheit! Auch das Reichsbanner war dabei,
aber in Zivil, nicht in Uniform. Dann kam der Wagen rumgefahren, Fortunastraße,
Fössestraße und mit aufgeblendeten Scheinwerfern in die Victoriastraße, aber da war von uns
nichts mehr zu sehen, denn wir kannten uns ja aus und sind über die Höfe verschwunden.“
(Fritz R. in „Von Kindesbeinen an… Zeitzeugen der Arbeiterbewegung“, Hannover 1985)
Ihmebrücke – eine Grenze für Nationalsozialisten
„Im ‚Roten Linden’ taten sich die Nazis schwer. Schon vor und auch noch nach 1933 gab es
zahlreiche handfeste Auseinandersetzungen zwischen Hitlergegnern und Nationalsozialisten.
Lediglich vereinzelte Hakenkreuzfahnen hingen in den Straßenzügen und SA-Stürme
versuchten vergeblich, Straße zu erobern. Erst am 19.02.1933 gelang es ihnen unter
Polizeischutz über den Küchengarten ins Lindener Stadion einzumarschieren und dort eine
Kundgebung abzuhalten. Zu dieser Zeit beherrschte die SA, zur ‚Hilfspolizei’ ernannt, nahezu
die gesamte Innenstadt. Passenanten, die sich ihnen widersetzen, bekamen Prügel.
Ein traditionsreiches Versammlungslokal der Arbeiter in Linden war das ‚Posthorn’ in der
Deisterstraße, wo auch August Bebel gesprochen hatte. Über die Erstürmung des ‚Posthorns’
durch die Nazis berichtet Karl Borchert:
„Und dann gab es Straßenschlacht an der Ihmebrücke. Unter Polizeischutz war es ihnen
gelungen, im ‚Posthorn’, einem Arbeiterlokal, Fuß zu fassen. Aber zuerst hat man ihnen auch
da einen Streich gespielt. Als das losgehen sollte, hatten sie kein Licht, da hatte Jemand das
Hauptkabel durchtrennt, Jemand von der Lindener Arbeiterschaft. Da saßen sie dann im
Dunkeln.
Dann sind sie auch oft mit Blumen begrüßt worden – da waren aber immer noch die Töpfe
dran und die flogen von oben herunter auf die SA.“
(Aus „Von Kindesbeinen an… Zeitzeugen der Arbeiterbewegung“, Hannover 1985)
„Linden war rot“
„Ich war Antifaschist. Wer gegen die Faschisten etwas tat, was auch immer, handelt in
meinem Sinne, da war ich dabei, da stand ich hinter, da habe ich mitgemacht. So sah ich das.
Ich habe mich ziemlich parteimäßig überhaupt nicht gebunden gefühlt. Wer auch immer
Material zur Verfügung stellte, war mir doch egal, wichtig war, dass etwas getan wurde und
ich kannte das Lindener Milieu, die Arbeiterschaft, die wirklich gegen die Faschisten war. Es
gab ja gar nicht so viele Nationalsozialisten in Linden. Sicher nahm das mit der Zeit zu. Viele
gingen in die Partei, in die SA, um Arbeit zu kriegen, aus irgendwelchen Gründen. Ob sie
überzeugt waren, weiß ich nicht, wie dem auch sei, Linden war rot. Das war ein
Arbeiterviertel und diese Arbeitermasse war Antifaschistisch. Um ihnen immer wieder zu
zeigen, „wir sind da, wir bleiben da, wir tun auch etwas dagegen“, da war es mir egal, von
welcher Seite es kam, da habe ich mit gemacht.“
(Aus Maria Gille in „Von Kindesbeinen an… Zeitzeugen der Arbeiterbewegung“, Hannover
1985)