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»Mehmet sollte mit Max und Moritz spielen«

4. Januar 2008 , Geschrieben von Parents Veröffentlicht in #Antirassismus | Asyl

04.01.2008 /  Aus der Tageszeitung Junge Welt

»Mehmet sollte mit Max und Moritz spielen«

Sprachliche, schulische und soziale Integration beugt Jugendkriminalität vor. Ein Gespräch mit Christian Pfeiffer

Interview: Claudia Wangerin
Professor Dr. Christian Pfeiffer ist Direktor des Kriminologischen Instituts in Hannover. Von 2000 bis 2003 war er auf SPD-Ticket Justizminister in Niedersachsen

Wie haben Sie den Zusammenhang zwischen Bildungschancen, Integration und Jugendkriminalität untersucht?
Seit 1998 führen wir regelmäßig Repräsentativbefragungen Jugendlicher in mehreren Großstädten durch. Dabei zeigen sich sehr unterschiedliche Trends in Sachen Jugendgewalt. In Hannover zum Beispiel nimmt sie seitens junger Türken deutlich ab. Intensivtäter – das heißt Mehrfachtäter, die mindestens fünfmal straffällig geworden sind – waren im Frühjahr 1998 beispielsweise 15 Prozent der jungen Türken. Inzwischen sind es nur noch sieben Prozent. Hier ist aber auch der Anteil junger Türken, die die Hauptschule besuchen, von früher knapp 50 auf 30 Prozent gesunken. Das Gymnasium besuchten früher sieben, inzwischen 15 Prozent. Kurz gesagt: Die Bildungsintegration hat sich deutlich verbessert. 55 Prozent der Türken besuchen in Hannover die Realschule.
Völlig anders in München – dort besuchen nach wie vor 60 Prozent der Türken nur die Hauptschule. Der Gymnasialanteil ist von 18 Prozent im Jahr 1998 auf 12,6 Prozent im Jahr 2005 zurückgegangen. In München ist die Bildungsintegration nicht gelungen – in Hannover ist sie dagegen auf einem guten Kurs. Es überrascht mich keineswegs, daß wir in München einen deutlichen Anstieg der Jugendgewalt bei den Türken haben – bei den Mehrfachtätern sogar eine Verdopplung von sechs auf zwölf Prozent. In Hannover haben wir den gegenteiligen Trend. Die Folgerung liegt für uns auf der Hand: Bildungsintegration ist ein wichtiger Ansatz, um Gewaltkriminalität bei jungen Ausländern vorzubeugen.
Fühlen sich Hauptschüler tendenziell auf’s Abstellgleis geschoben?
In der Hauptschule haben wir heute eine Zusammenballung von Jugendlichen aus schwierigen Verhältnissen, die sich gegenseitig negativ hochschaukeln und sich nicht gerade zu Höchstleistungen anstacheln. Völlig anders sind die Rahmenbedingungen in der Realschule oder am Gymnasium. Wir empfehlen daher, daß Migrantenkinder dorthin kommen, wo sie ihrer Begabung nach hingehören.
Wir haben in Berlin die Begabung von 1000 Achtjährigen im Bereich Mathematik getestet und konnten da keine Unterschiede zwischen Deutschen, Türken und Russen feststellen. Aber die türkischen Kinder hatten schon im Alter von acht Jahren eine schlechtere Schulnote in Mathematik. Und dieser negative Trend verstärkt sich mit der Dauer des Schulbesuchs. An der Begabung liegt es also nicht, sondern an den familiären und sozialen Rahmenbedingungen.
Was kann in Schulen unternommen werden, damit sich diese Rahmenbedingungen nicht mehr so auswirken?
Ganztagseinrichtungen könnten Migrantenkindern helfen, den Nachmittag sinnvoll zu nutzen, der gegenwärtig zu stark vom Medienkonsum geprägt ist. Gerade Jungen verbringen häufig sehr viel Zeit mit sehr brutalen Ballerspielen.
Die mathematische Begabung, die Sie bei den Achtjährigen getestet haben, sagt wenig darüber aus, wie gut sie die deutsche Sprache beherrschen. Liegt hier nicht eines der Hauptprobleme?
Klar, das ist von zentraler Bedeutung. Wenn wir es so organisieren, daß Mehmet bereits mit Max und Moritz im Sandkasten spielt, dann lernt er Deutsch, wird zu Geburtstagen eingeladen, bekommt deutsche Freunde, und die Dinge laufen von allein in die richtige Richtung. Wenn Mehmet aber im Kindergarten nur auf Mustafa und Igor trifft, dann hat er zwar auch Freunde, aber keine, die Deutsch sprechen. In der Grundschule wird er dann vom ersten Tag an nicht mithalten können.
Wie kann man da gegensteuern?
Am besten mit gemischten Kindergärten, indem man 25 Prozent der Plätze für Migrantenkinder reserviert. Und indem man bei den Eltern darum wirbt, daß auch die Kindergärten in weiter entfernten Wohngegenden genutzt werden, wo überwiegend Deutsche leben. In Kanada hat sich das als Erfolgsmodell bewährt.
Zusammenfassend: Sprachliche, schulische und soziale Integration sind das A und O. Wenn der Ruf nach härteren Strafen und Erziehungscamps für Jugendliche laut wird, kann ich nur antworten: Das ist eine teure Illusion. Wir sollten nicht in Gefängnisse investieren, sondern in bessere Schulen.
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